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Aus der Welt der Literatur
2004-12-14 | Dennoch die Schwerter halten (Gottfried Benn) |
Gottfried Benns Gedichte lassen uns innehalten, öffnen in jedem von uns Türen, von denen wir bislang nichts wußten, oder – wenn wir sie im flüchtigen Vorbeigehen sahen – nicht aufzuschließen wagten.
Nie hatte er Trost parat; am wenigsten wohl für sich selbst.
Der Schlußabsatz dieses Gedichts zählt zu den eindrucksvollen Passagen deutscher Lyrik.
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Der soziologische Nenner,
der hinter Jahrtausenden schlief,
heißt: ein paar große Männer
und die litten tief.
Heißt: ein paar schweigende Stunden
in Sils-Maria-Wind,
Erfüllung ist schwer von Wunden,
wenn es Erfüllungen sind.
Heißt: ein paar sterbende Krieger
gequält und schattenblaß,
sie heute und morgen der Sieger -:
warum erschufst du das?
Heißt: Schlangen schlagen die Hauer
das Gift, den Biß, den Zahn,
die Ecce-homo-Schauer
dem Mann in Blut und Bahn -
heißt: so viel Trümmer winken:
die Rassen wollen Ruh,
lasse dich doch versinken
dem nie Endenden zu -
und heißt dann: schweigen und walten,
wissend, daß sie zerfällt,
dennoch die Schwerter halten
vor die Stunde der Welt.
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